Fakes als Technik der Kommunikationsguerilla und als politisches Handlungs- und Kommunikationsmuster sozialer Bewegungen in und außerhalb des Internet
Die Anfänge des Netzaktivismus waren durch E-Petitonen und virtuelle Sit-ins geprägt. Es handelt sich dabei um erprobte Aktionsformen, die den AktivistInnen sozialer Bewegungen aus der Zeit vor dem Internet aus dem "Real Life" hinlänglich vertraut waren. Die NetzaktivistInnen wiederholten damit einen bekannten Mechanismus aus der Geschichte der Medieninnovationen. Nämlich die Übertragung bekannter Handlungs- und Kommunikationsmuster auf ein neues Medium.
Dieser Prozess war von großen Hoffnungen begleitet. In den sozialen Bewegungen, aber auch in der Wissenschaft, wurde das Internet sehr bald als ideales Werkzeug zum Protest und zur Mobilisierung angesehen. Die Diskussionen über Netzaktivismus in den sozialen Bewegungen ähnel(te)n dabei durchaus den (politik-)wissenschaftlichen Debatten über Deliberation, Partizipation, Demokratie und Internet.
Im Gegensatz hierzu wird in diesem Vortrag von der These ausgegangen, dass das Internet für die sozialen Bewegungen überwiegend als Werkzeug zur Vorbereitung, Mobilisierung und Kooperation von Kampagnen oder Aktionen nützlich ist. Diese These wird begründet und zugleich am Beispiel der Praktiken der Kommunikationsguerilla differenziert.
"Kommunikationsguerilla ist politische Militanz. Sie unterscheidet sich insofern von der herkömmlichen Militanz, dass sie die Codes von Macht und Herrschaft nicht einfach zerstört, sondern zu entstellen versucht und ihnen damit ihre Wirksamkeit nehmen soll. Ziel der Kommunikationsguerilla ist also nicht die Unterbrechung eines Kommunikationskanals, sondern die Entwendung und Entstellung der in ihm transportierten Botschaften Kommunikationsguerilla ist eine bestimmte Form der politischen Kommunikation, die Aussagen nicht in erster Linie im Klartext zu transportieren versucht, wie etwa Flugblätter, Demo-Parolen, Transparente das in der Regel tun. Dies ist zugleich eine inhaltliche Festlegung. Denn unser Ansatz geht davon aus, dass es nicht nur darauf ankommt, welche Inhalte transportiert werden, sondern dass eben diese Form, in der kommuniziert wird, selbst auch inhaltliche Aussagen trifft." (autonome a.f.r.i.k.a. gruppe, 1998)
Insbesondere Fakes haben als Technik des politischen und sozialen Protests mit der Ausbreitung des Internet und den transnationalen sozialen Bewegungen an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen. Bei den Fakes wird die Kanalreduktion der technisch vermittelten Kommunikation dazu genutzt, um im Namen des politischen Gegners oder der Macht zu sprechen. Die Kontextarmut (im Hinblick auf die menschlichen Sinne) von Netzkommunikation ist die soziotechnische Voraussetzung für das Gelingen einer solchen aktivistischen Praxis. Auf dieser Grundlage entwickelten Aktivisten wie "The Yes Men" zudem eine Form von Cybertheater, die wiederum den Cyberspace als Ausgangspunkt für Aktionen im "Real Life" erfolgreich nutzen.
Faken kann darüber hinaus als eine zentrale Technik der Kommunikationsguerilla gelten. Kommunikationsguerilla-Aktionen basieren zugleich auf einem gewandelten Politikverständnis, über das nach wie vor in AktivistInnen-Kreisen heftig diskutiert wird. In diesem Kontext können die Expertisenstrategie von Attac, das Enablingprinzip von Indymedia und das Verfremdungsprinzip der Kommunikationsguerilla unterschieden werden. Attac versucht seine Mitglieder und die Öffentlichkeit mit wahren und richtigen Informationen aufzuklären. Kommunikationsguerilla vertraut demgegenüber nicht mehr auf das klassische Prinzip der Gegenöffentlichkeit. Ihre "Lügen" sind vielmehr falsche Informationen, die wahre Ereignisse schaffen sollen.
In diesem Zusammenhang ist zudem bemerkenswert, dass nicht nur das Internet vom "Real Life" inspiriert wurde, sondern dass umgekehrt auch das Internet zur weiteren Verbreitung von Fakes außerhalb des Netzes entscheidend beigetragen hat (Vgl. z.B. die entsprechende Rubrik "Fakes", "Fälschungen und Camouflagen" in der Blogchronik der Kommunikationsguerilla).
Dr. Klaus Schönberger
Forschungskolleg kulturwissenschaftliche Technikforschung
(Wissenschaftlicher Koordinator)
Institut für Volkskunde der Universität Hamburg
Bogenallee 11
D-20144 Hamburg
http://www.rrz.uni-hamburg.de/technik-kultur/