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Blick auf Wiener Zukunftsruinen
Andreas Broeckmann, April 2006
Wie sich die Zeiten ändern! Vor zehn Jahren waren wir blass vor Neid, wenn
wir von Berlin aus in die medienkulturellen Stadtlandschaften Wiens blickten
- was da alles möglich war! Medienkunst, kreative Spinner und kritische
Medienprojekte allenthalben; als der öffentlich-rechtliche Rundfunk
neugierig auf die freien Radios schielte, als Museen sich mit dem
Unvorhersehbaren schmückten und das künstlerische-akademische Treibhaus
schönste, wunderlichste Blüten und Persönlichkeiten hervorbrachte.
Wenn man eine Dekade später die letzte Kirsche von der abgegessenen Torte
herunterschnippen will, dann schließt man Public Netbase, - oder macht es
jedenfalls unmöglich, dass dort weiter gearbeitet wird.
Die Netbase war seit Mitte der 90er eine der international angesehendsten
Plattformen für ein kritisches Nachdenken über Medien und die Entwicklungen
der Kunst im Zeitalter der Information. Stolz vermerken diejenigen, die den
internationalen Diskurs über das Politische in den sogenannten 'Neuen',
digitalen Netzwerkmedien getragen haben, die Lovink, Wark, Kurtz, Fielding,
Holmes, Fuller, die Wilson und Druckrey, wenn sie ihre Idee auf
Veranstaltungen von Public Netbase diskutieren konnten. Über den reinen
Netzwerkprovider schon früh hinausgewachsen, zeigte das immens wichtige
Projekt 'World-Information.Org' seit 2000, wie dringend wir alle die
kritische und intelligente, nachbohrende Begleitung einer abgedrehten
Medienwelt brauchen, um die Informationsgesellschaft überhaupt noch
demokratisch gestalten zu können. Von markanten Gesten wie dem 'Nikeplatz'
oder den bio-kritischen Performances des Critical Art Ensemble ganz zu
schweigen. Und das Wiener Publikum am Puls der Weltzeit.
Ein solches Projekt muss hart am Wind segeln und riskiert passionierte
Freund- und Feindschaften. Aber eine kluge Medienpolitik erhält sich
Strukturen wie diese, um frühzeitig auf Veränderungen in dem aufmerksam
werden zu können, was KünstlerInnen tatsächlich oft Jahre vor dem Rest der
Gesellschaft wahrnehmen und formulieren. Es braucht Orte, an denen der
internationale Diskurs sich lokal manifestieren kann, an denen mit
technischen Systemen experimentiert und mögliche Folgen spielerisch forciert
werden können. Dass die stolze Stadt Wien sich selbst der Netbase beraubt
und, wie es scheint, die Förderung kritischer Medieninitiativen überhaupt
auf Projektalmosen beschränken will, zeigt den dezidierten Willen, sich den
Herausforderungen einer Zukunft nicht stellen zu wollen, die von digitalen
Systemen in komplexesten Verschaltungen bestimmt sein wird.
Wer wird fortan die maßgebenden Konferenzen über neue Formen der kreativen
Netzwerkkommunikation, über Urheberrechtsnovellen und über die neuen
'Dritten Welten' des Informationszeitalters organisieren?
Die Ars in Linz, stets bemüht, ihr kritisches Potenzial hinter
pro-amerikanischen Populismus und gespielter Technikeuphorie zu verbergen,
wird diese Lücke kaum füllen wollen. Rhetorisch wäre es jetzt wunderbar, sagen zu können: geh, Wien, schau aber
doch mal auf die da drübn! Leider fahren selbst im gelobten Land der
Medienkultur, in den Niederlanden, die entsprechenden Einrichtungen mit der
Handbremse einer zutiefst verunsicherten, nicht
zukunfts- sondern gegenwartsängstlichen Gesellschaft. In Helsinki zählt die
Nokia-Gemeinde verkaufte Produkteinheiten, statt über die neu entstehende
iPod-Welt nach zu denken. In Karlsruhe wird in der 'Munitionsfabrik' der
90er-Installationskunst alle sechs Monate das letzte Jahrhundert in stets
monumentaler werdenden Ausstellungen zu Grabe getragen, und jedes Mal ein
großer Grabsteinkatalog oben drauf.
Und in Großbritannien, einst der vierte Hoffnungsträger einer europäischen
Medienkultur, wurden mit Lotteriegeldern die Ruinen einer verfehlten Politik
finanziert, in deren Nachbarschaft nun mit vernetztem Kleinklein mühsam
aufgebaut werden muss, was vor Jahren für viel weniger Geld schon einmal
vorhanden war.
Also, Wien, welcome to the club, pflege und verschmähe Dein kulturelles Erbe
wie eh und je, rock me Amadeus, und lass Dich vom Surren der Computer und
Kameraobjektive, von Systemabstürzen in intelligenten Häusern nicht aus der
Ruhe bringen. Die Maschinenhungrigen, die Mediensüchtigen, die X-Boxer
werden den Tempeln des Alten beizeiten den Garaus machen, denn in ihrem Teil
der Wirklichkeit hat noch nie etwas, das tatsächlich bedeutsam ist - ein
überwältigendes Abenteuer in einer virtuellen Welt, ein neuer, ungehörter
Sound, eine Online-Gemeinschaft der Aufrechten - eine "institutionelle
Förderung" erhalten, und mit dem Plunder der Vergangenheit werden sie auch
diese Reliquie eines veralteten Kulturbegriffs einfach abschütteln.
Wir werden in Kulturruinen leben, die nur noch für asiatische Touristen von
irgendeinem Wert sein werden. Welcome to the club.
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